»Wenn Du das oft genug erlebt hast, dann arbeitest Du gezielt darauf hin, weil es so unheimlich schön ist.« Implizites Wissen und die Organisation musikalischen Erlebens
Vortrag in Graz, 20.06.2014, 11:15
Tagung: Auditive Wissenskulturen, interdisziplinäre Konferenz
Universität für Musik und darstellende Kunst Graz, 18.–21.06.2014
Referentinnen: Lena Respondek, Holger Schwetter
Auf der Tagung möchten wir einen neuen Ansatz vorstellen, die Verbindungen zwischen popkultureller Praxis und anderen gesellschaftlichen Feldern in Bezug auf Entwicklungsdynamiken aufzudecken. Unsere Strategie ist es, beim gelingenden musikalischen Erleben anzusetzen. Wir nennen die spezifischen raumzeitlichen Ausprägungen, die dieses Erleben ermöglichen, musikalische Chronotope und möchten das damit verbundene theoretische Gerüst am Beginn unseres Forschungsprojekts in Graz zur Diskussion stellen. Hierbei ist auch die Aufdeckung impliziten Wissens in den ästhetischen Praxisfeldern wichtig.
Chronotope bezeichnen raumzeitliche Ordnungen, die durch Musikerleben konstituiert werden und sind Kristallisationspunkte popmusikalischer Kultur. Jugendliche nutzen populäre Musik zur Schaffung von eigenen Zeit-Räumen, in denen sie, vermittelt über popmusikalische Ästhetik, eigene Identitäten ausprägen, Emotionen managen und Zeit organisieren. In der Organisation von Anlässen, die solche Zeit-Räume aufspannen, wird zumeist implizites Wissen aus vielen Praxisfeldern gesammelt, um neue Erfahrungen ergänzt und innerhalb kleiner Gruppen von Szene-Akteuren organisiert und tradiert.
Als Motivation dient dabei, möglichst perfekte Rahmenbedingungen zu schaffen, in denen spezifische Ausprägungen musikalischen Erlebens real werden und ein mit ihnen verbundener sozialer Kontext entstehen kann. Die Ritualisierung dieses Rahmens und des sozialen Kontexts kann einerseits helfen, eine größtmögliche Wahrscheinlichkeit für gelingendes Erleben herbeizuführen, kann aber auch zur Erstarrung von Formen führen, aus den der »Spirit« längst entflogen ist.
Wie sich das oft implizite Wissen um Rahmenbedingungen und das musikästhetische Erleben gegenseitig beeinflussen, ist für unser Forschungsprojekt eine wichtige Frage. Dies gilt auch, weil Zeit-Räume, die für (hoffentlich gelingendes) ästhetisches Erleben geschaffen werden, mit anderen sozialen Zeitschemata in teilweise konkurrenzhafte, aber auch beeinflussende Beziehungen treten; die Organisation solcher Anlässe schafft wiederum spezifische Lebens- und Arbeitsmöglichkeiten für die Akteure. Im Besuch einer musikorientierten Veranstaltung verschränken sich ästhetisches Erleben und vielfältige soziale Funktionen.
Holger Schwetter · 10. Juni 2014, 17:11 Uhr