Ästhetische Eigenzeiten – Zeit und Darstellung in der polychronen Moderne

Ästhetische Eigenzeiten literarischer Physik

Michael Gamper (FU Berlin)

Teilprojekte Phase: 1. 2.

Ästhetische Eigenzeiten literarischer Physik

Das Forschungsprojekt befasst sich mit den vielfältigen Konstellationen ästhetischer Eigenzeitlichkeit, die sich seit dem 17. Jahrhundert im Spannungsfeld zwischen Verfahren, Theorien und Anwendungen wissenschaftlicher Physik und literarischen Praktiken und Poetiken ergeben. Es untersucht so erstens die verschiedenen Dimensionen von physikalischer Eigenzeitlichkeit, wobei Anteil und Verhältnis relevanter physikalischer Aktanten, also von Personen, Gegenständen, Verfahren, Texten und Theorien, an solchen zeitlichen Zusammenhängen bestimmt werden. Zweitens setzt es Physik und Literatur im Besonderen hinsichtlich ihrer Zeitlichkeiten in ein historisch differenziertes Verhältnis; hierbei stehen Übertragungsvorgänge und die Konstituierung von trading zones zwischen den beiden Bereichen, auch unter Einbezug weiterer Felder, im Fokus. Das Hauptaugenmerk gilt aber drittens der Frage, wie sich die Literatur für ihre eigenzeitlichen Elemente an der Physik inspiriert und wie sie die unterschiedlichen temporalen Bestände der Physik in ihre Texte einarbeitet, sie zu eigenständigen Elementen weiterentwickelt und dabei die eigenen poetologischen Möglichkeiten erweitert.

Drei Untersuchungsperspektiven sollen es ermöglichen, die genannten Schwerpunkte zu erschließen. Erstens ist dies eine Gliederung in vier für die physikalische Zeittheorie relevante Paradigmen (klassische Mechanik, Thermodynamik, Relativitätstheorie, Quantenphysik), die eine historische Spezifizierung erlauben, aber je auch spezifische Aspekte der (Eigen-)Zeitlichkeitsproblematik betreffen. Zweitens sind es vier Übertragungszonen (textuelle Manifestation/Popularisierung, Verfahren, Spekulation, technische Anwendung), mithilfe derer das Verhältnis von Physik und Literatur in den wesentlichen Facetten analysiert wird. Und drittens ist es das Theorem der Zeitfigur, das nach seiner weiteren theoretischen Ausarbeitung in der Lage sein soll, in kritischen Textanalysen begrifflich nicht fassbare Dimensionen der Zeitproblematik zu untersuchen. Es ist zu erwarten, dass dieses Theorem auch über die konkrete Thematik hinaus für das SPP von Interesse sein wird.

Das Projekt hat so den Anspruch, mit der Physik einen der wichtigsten Bereiche der Zeitproduktion und -reflexion wissensgeschichtlich zu bearbeiten und durch die Untersuchung der Übertragungszusammenhänge mit der Literatur die kulturelle Produktivität dieses Wissensbestandes erkennbar zu machen. Konkret geschieht dies in zwei Arbeitsbereichen: Erstens sollen die theoretischen Grundlagen der Fragestellung und ihrer methodischen Erschließung geklärt werden, zweitens wird in einem Promotionsprojekt am Beispiel der Zeitreise der Zusammenhang von Theorie, Spekulation und Technik analysiert.