Ästhetische Eigenzeiten – Zeit und Darstellung in der polychronen Moderne

Urzeit und Umwelt. Inszenierungen des Prähistorischen in der Moderne

Christina Wessely (Lüneburg)

Teilprojekte Phase: 1. 2.

Urzeit und Umwelt. Inszenierungen des Prähistorischen in der Moderne

Mit der Entdeckung der geologischen Tiefenzeit öffnete sich um 1800 ein temporaler Abgrund, der die Moderne vor ein nie dagewesenes aisthetisches Problem stellte. Zur imaginären und wissenschaftlichen Erschließung der in der Erde ihrer Entdeckung harrenden Urzeit entwickelten Geologen und Paläontologen in Zusammenarbeit mit Künstlern und Technikern neue Mittel und Verfahren formgebender Darstellung.

Dabei erfolgte der Zugriff auf die unermesslichen Zeiträume über das Studium des sogenannten »Ablagerungsmilieus«. Dieses wird von den zoologischen und botanischen Fossilien gemeinsam mit der spezifischen Gesteinsschicht, in der sie gefunden werden, gebildet. In ihm findet sich die Urzeit in komprimierter Form räumlich angeordnet. Um diese wahrnehmbar zu machen, mussten Geologen und Paläontologen die Gesetzmäßigkeiten der Sedimentation und Verdichtung prähistorischer Zeit in das räumliche Gefüge des Ablagerungsmilieus studieren und zugleich Praktiken und Techniken der Rückübertragung dieses Milieus in dargestellte Zeit erarbeiten. Die Erforschung der Urzeit, so die zentrale These des Projekts, erforderte also die Inszenierung von urzeitlichen Umwelten.

Wer über Zeit spricht, ist auf deren räumliche Inszenierung angewiesen. Dieser Übertragung von Zeit in räumliche Gefüge gilt das Hauptinteresse des Projektes. Es zielt dabei (1) auf die Analyse der verschiedenen künstlerischen und medialen Mittel und Verfahren zur Darstellung, Inszenierung und Vergegenwärtigung der in der Moderne neu auftauchenden Zeitgestalt der Urzeit. Anhand der Untersuchung wissenschaftlicher und populärwissenschaftlicher Schriften, literarischer Texte, Gemälde und Bilderserien, aber auch Plastiken, Dioramen und Kulissen, die in Ausstellungen und auf Theaterbühnen zum Einsatz kamen, wird sowohl die Zusammenarbeit von Wissenschaftlern, Künstlern und Technikern bei der Herstellung urzeitlicher Umwelten untersucht als auch nach den poetologischen und epistemologischen Konsequenzen dieser Zusammenarbeit gefragt. Dabei rückt (2) ein aus diesen Kooperationen resultierendes ökologisches Wissen über (urzeitliche) Umwelten, Milieus und Lebensräume in den Blick, das Geologie und Paläontologie als zentrale Schauplätze bei der Herausbildung der modernen Ökologie kenntlich werden lässt.