Waldhaus Herchen, Wuppertaler Str. 2, 51 570 Windeck-Herchen
15. Mai 2019, 15:30 Uhr – 18. Mai 2019, 10:00 Uhr
Das Schwerpunktprogramm »Ästhetische Eigenzeiten« führt im Titel das Konzept der polychronen Moderne. Dementsprechend ist es in seiner Forschungslogik auf Pluralität, Heterogenität und Differenzierung von Zeitmodalitäten und ihrer Darstellungs- und Manifestationsformen bezogen. Insofern greift das SPP auch eine Kritik auf, mit der Konzeptionen der Moderne immer wieder konfrontiert worden sind. Diese besagt, dass ein zu einheitliches und zu monolithisches Bild der Moderne gezeichnet werde. Diese Kritik richtet sich beispielsweise auf modernisierungstheoretische Vereinseitigungen in den Sozialwissenschaften, aber auch auf Konzepte ›der‹ ästhetischen Moderne. Die geplante Jahrestagung greift diesen Aspekt des Forschungsprogramms des SPP auf und führt ihn weiter. Im Mittelpunkt steht dabei die Überlegung, dass ›die Moderne‹ gerade dadurch heterogene, plurale und oft konfrontative Zeitlichkeitsmanifestationen provoziert, weil sie als homogen und totalisierend auftritt bzw. wahrgenommen wird.
Exemplarisch sind solche Dynamiken in postkolonialen Kritiken aufgezeigt worden, deren Stoßrichtung sowohl auf ›die Moderne‹ konsolidierende Konstruktionen von Alterität durch orientalistische Diskurse wie auch zugleich auf soziale, politische und ästhetische Subversionen und Gegenentwürfe zur hegemonialen Moderne zielt. In ähnlicher Weise ist in kulturell informierten politisch-ökonomischen Arbeiten darauf hingewiesen worden, dass die Totalisierungsschübe des Kapitalismus seit dem imperialen Kolonialismus stets in konkreten Settings ihre Effekte zeitigten, die nicht zuletzt in der Mobilisierung von alteritären Strategien und Visionen der Herstellung von Sozialität bestanden. Weiter ist auch in der Kulturanthropologie die Tendenz zu beobachten, Globalisierung nicht auf kulturelle Uniformierung zu reduzieren, sondern eher nach den lokalen und translokalen Manifestationen und Produktionsbedingungen des ›Globalen‹ zu fragen, die sich als spezifisch und alteritär zu einer globalen Moderne positionieren.
Bezogen auf die Frage nach ästhetischen Eigenzeiten münden diese Ansätze in eine Problematik ein, die man wie folgt umschreiben könnte: Die in sich nicht anders als heterogen zu denkende polychrone Moderne führt in weitere temporale Variationen dadurch, dass sie zu der ›einen Moderne‹, nun kritisiert als selbstidentisch und hegemonial, alteritäre Zeitkonzeptionen und -manifestationen produziert und provoziert. Es geht somit um Steigerung temporaler Variation und Variabilität durch ein Abarbeiten an einer homogen auftretenden oder wahrgenommenen temporalen Moderne bzw. modernen Temporalität. Diese Auseinandersetzung kann einen agonistischen Charakter annehmen oder auch Wandel und Differenzierung durch Einbezug neuer Zeitlichkeiten in bereits bestehende Kosmologien und etablierte Handlungszusammenhänge zur Folge haben.
Die Jahrestagung strebt an, paradigmatische Settings solcher temporaler Variationen zu adressieren. Darüber hinaus will sie die Frage diskutieren, inwieweit Ordnung und Wahrnehmung von Zeit in den multiplen Modernen entscheidend von den Artefakten technisch-apparativer Medien und den in sie eingeschriebenen Ordnungsmustern geprägt werden. Diese Ordnungsmuster unterliegen einer doppelten diskursiven Prägung: zum einen dadurch, dass sie sich immer erst in der sprachlichen Darstellung und begrifflichen Wahrnehmung ihrer Artefakte aktualisieren und ausdifferenzieren, und zum andern dadurch, dass Medienpraxis selbst in einem Netz aufeinandertreffender Diskurse stattfindet, welches diese perspektivisch prägt bzw. verzerrt, Medienpraxis und Erkenntnistheorie also in einem unauflösbaren Wechselverhältnis stehen.
Die Jahrestagung zielt deshalb auf Erkenntnisse über Prozesse globaler Verstrickungen, Materialisierungen und fragmentierter Aktualisierungen von Zeitkonzeptionen in einer vielgestaltigen Moderne. Es geht darum, neben Spezifika einer als universell verstandenen modernen Zeitästhetik auch deren Fragmentierung in heterogene Typen von Eigenzeit zu befragen und damit gleichzeitig die Polychronie ›innerhalb‹ der Modernekonzeptionen außereuropäischer Kultur- und Sprachkontexte hervorzuheben.
Die Jahrestagung fokussiert damit auch die Bedeutung und Bedeutsamkeit der moderne Zeitordnungen kommunizierenden und konstituierenden technisch-apparativen Medien im Hinblick auf Gemeinschaften, die außerhalb von nordatlantischen ideengeschichtlichen, ökonomischen und soziokulturellen Traditionen stehen, die Zeit nicht als Chronos gedacht und zudem nie die Not¬wendigkeit empfunden haben, überhaupt den Begriff der ›Zeit‹ auszuprägen. Damit wird auf der Tagung auch der Frage nachzugehen sein, inwieweit in der Moderne ›Fremdzeit(en)‹ zu ›Eigenzeit(en)‹ gemacht wurde(n). Dabei ist nicht von einem fixen Eigenen und einem fixen Fremden auszugehen, aus denen sich dann ein ›Hybrid‹ ergäbe (oder eines das andere in hierarchischer Konstellation dominieren bzw. tilgen würde). Vielmehr ist der Blick auf immer schon heterogene und sich in der Dynamik ihrer inneren Wandlungsprozesse definierende Kulturen zu richten. Schließlich soll die Frage nach der Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen nicht nur an eine Binärkonstruktion von europäischer und außereuropäischer Kultur gerichtet werden, sondern es soll auch die vielgestaltige und polychrone Moderne innerhalb und jenseits solcher Grenzziehungen im Hinblick auf Gemeinsamkeiten und Brüche diskutiert werden.