Systemtheoretische Überlegungen zu: Latenz, Zeit und der Ästhetik mathematischer Modellierungen
In Niklas Luhmanns Systemtheorie nimmt der Latenzbegriff eine zentrale Position ein. Luhmann differenziert an Robert K. Merton anknüpfend zwischen Bewusstseins- und Kommunikationslatenz und sieht in dem Begriff der strukturfunktionalen Latenz, der Latenz mit der Funktion des Strukturschutzes, den brisantesten und für die Soziologie relevanten Fall. Die Mathematisierung der Wirtschaftswissenschaften, und damit das Operieren mit logischer statt historischer Zeit, könnte als Form eines solchen Strukturschutzes der Wirtschaftswissenschaften interpretiert werden. Die Mathematisierung der Wirtschaftswissenschaften dient so gesehen zur Legitimierung einer akademischen Disziplin (»exakte Wissenschaft«). Zugleich richten sich an die Wirtschaftswissenschaften Erwartungen aus der Wirtschaftspraxis, in jeder beliebigen Gegenwart Handlungsempfehlungen, die ökonomisches Handeln oder ökonomische Strukturen betreffen, zu formulieren. Erst mit Hilfe der Mathematisierung, so die hier vertretene These, gelingt es der Ökonomik kraft der ihr eigenen kalkulatorischen Ästhetik (Binnenreferenzialität, Sinnüberschuss) eine Brücke zwischen Modell und Anwendung zu schlagen. Diese Überlegungen zur Legitimierung der Ökonomik mithilfe der Mathematik erhalten zusätzliche Brisanz, nimmt man den Standpunkt Godfrey Harold Hardys ernst, dass es sich bei ökonomischen Modellen streng genommen nicht um Mathematik handeln kann, da die Mathematik jegliche externe Referenzen ausschließe.
Sebastian Giacovelli · 7. August 2014, 14:18 Uhr